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Ihre Ausbildung zum Naturcoach könnte schon heute beginnen.

Ich muss da mal was loswerden

Vom Bäumekuscheln bis zum Zertifizierungswahn

Unsichere Zeiten, verunsicherte Menschen. So könnte man viele Entwicklungen der letzten Zeit auf einen stark verkürzten Nenner bringen. Ich selbst und einige meiner Kollegen erleben derzeit zwei Tendenzen, die auf den ersten Blick nicht so recht zusammen passen wollen. Auf der einen Seite scheint das Bedürfnis und die Sehnsucht nach Sinn, Gelassenheit, persönlicher Entwicklung und sinnvoller Lebensgestaltung so groß wie nie zuvor. Viele Menschen befinden sich sowohl privat als auch beruflich buchstäblich auf der „letzten Rille“ und suchen händeringend nach Hilfe und Alternativen. Auf der anderen Seite sind eine zunehmend skeptische Grundhaltung und ein manchmal fast schon irrwitziges Streben nach wie auch immer gearteter Sicherheit zu beobachten, die paradoxerweise viele Menschen oft geradezu davon abhält, ihren eigentlichen Bedürfnissen und Sehnsüchten nachzugehen. Ich finde, darüber sollten wir reden!

Mehr als nur Bäume umarmen

Als ich neulich einen alten Bekannten traf und er mich fragte, was ich heute beruflich mache, erzählte ich ihm, dass ich Naturcoach bin. „Du, Naturcoach? Bist du wirklich einer geworden, der Bäume umarmt?“, schießt es aus ihm heraus. Nicht erst seit dieser Begegnung ist mir klar, dass viele Menschen offensichtlich ein völlig falsches Bild von dieser Art des Coachings im Allgemeinen und der Wirkung von Bäumen im Besonderen haben. Eines, das, völlig aus dem Zusammenhang gerissen, auf den „Normalo“ zugegebenermaßen ziemlich befremdlich wirken muss. Ähnlich freakig hätten wohl auch die Nutzer von heutigen Bluetooth-Ohrstöpseln auf Menschen der Vor-Smartphone-Generation gewirkt, wären sie damit in den 90er Jahren vor-sich-hin-telefonierend durch die Fußgängerzone geschlendert.

Was ich damit sagen will, ist, dass das Eintauchen in die Natur, wie es oft im Rahmen des heute sehr populären Waldbadens praktiziert wird, nur einen kleinen Aspekt des naturgestützten Coachings darstellt. Das Hinausgehen und meist absichtslose Verweilen in der Natur dient u.a. der Entspannung, der Entschleunigung und der mentalen Klärung. Einfach mal ohne Zeitdruck und ohne konkretes Ziel durch den Wald spazieren. Sich mit dem Rücken an den Stamm einer mächtigen Eiche lehnen, ihre Energie entlang der Wirbelsäule spüren, ihren Schatten genießen und dabei den Blick über die Felder schweifen lassen. All das bringt Mensch und Natur auf einfache Weise wieder zusammen, ganz ohne viel Aufwand. Die Natur und ihr wohltuender, klärender und schützender Rahmen werden so auch körperlich wahrnehmbar. Der Geist kann sich erholen und der Körper in vielerlei Hinsicht neue Kraft und Energie tanken.

Kein Selbstzweck

Diese Wirkung steht jedoch nicht für sich allein. Es geht nicht vordergründig darum, „mit Bäumen zu kuscheln“, sondern diese besondere Atmosphäre des Vertrauens, der Offenheit und Klarheit zu nutzen, um Spannungen, mentale Blockaden oder Ängste abzubauen. Und auch wenn es dazu seit den 80er Jahren durchaus wissenschaftliche Untersuchungen[1] gibt, die die positiven gesundheitlichen Effekte belegen, so sind diese doch eigentlich nebensächlich. Denn, die allermeisten Menschen kennen diese positive Wirkung der Natur bereits aus eigener Erfahrung. Wer hat sich nicht als Kind mit Freunden im Wald versteckt oder dort gespielt und die Freiräume jenseits aller elterlichen Konventionen gerne genutzt? Wer hat sich nicht in schwierigen oder traurigen Lebensabschnitten auf eine Parkbank zurückgezogen und Hilfe oder Trost in der Natur gefunden? Wer hat nicht das Erwachen der Lebensgeister im Frühling oder die Fülle an Pilzen und Beeren im Früh- und Spätsommer in vollen Zügen genossen? Diese persönliche Erfahrung ist meines Erachtens viel mehr wert als jede seelenleere und emotionslose wissenschaftliche Wirksamkeitsstudie, nach der derzeit so viele rufen. Warum sollte ich meinen eigenen positiven, lebensbejahenden Erfahrungen übertriebene Skepsis hinsichtlich ihrer Herkunft entgegenbringen, nur weil der aktuelle Stand der Forschung den einen oder anderen Teilaspekt dieses natürlichen körperlichen und seelischen „Anti-Stress-Dopings“ noch nicht vollständig zu verifizieren vermag?

von Dirk Stegner

6. März 2024

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Wie die Sichtweisen anderer mein Leben bestimm(t)en.

In Wahrheit ich

Genau dies beschreibt die aktuelle Situation und die eingangs beschriebene Problematik recht treffend. Es gibt heute bereits viele neue und durchaus positive naturgestützte Ansätze. Diese werden aber aufgrund derzeit noch fehlenden wissenschaftlichen Evidenz oder mangels staatlicher Anerkennung schlichtweg nicht in dem Maße eingesetzt werden, wie es möglich und in Zeiten von Ärzte- und Therapeutenmangel zumindest präventiv oder begleitend vielleicht ja auch sinnvoll wäre. 

Zertifizierung statt Vertrauen

Eine kurze Rückblende: Fast heimlich, still und leise hat sich seit Ende der 80er Jahre ein weiterer „Trend“ von Teilbereichen der Wirtschaft auf die Gesellschaft ausgeweitet: die Zertifizierung. Durch die zunehmende Internationalisierung von Handels- und Geschäftsprozessen entstand die Notwendigkeit, bestimmte Qualitätskriterien transparent und vergleichbar zu machen. Während beispielsweise die Auswahl und Beurteilung möglicher Geschäftspartner früher häufig noch der erfahrungsbasierten Einschätzung der Unternehmensleitung unterlag, gingen Anfang der 90er Jahre immer mehr Unternehmen zur so genannten DIN-ISO-Zertifizierung über. Statt subjektiver Einschätzung nun eine möglichst objektive Beurteilung der zu erwartenden Qualität der Leistungen oder Produkte. So zumindest die Intention. Ob sich die Qualität mancher Produkte dadurch rückblickend tatsächlich verbessert hat, sehe ich als bekennender Oldtimerfan mit einem Augenzwinkern kritisch. Definitiv aber hat das persönliche Vertrauen mit der Einführung solcher standardisierten Kriterienkataloge an Ansehen und Bedeutung verloren. Und das nicht nur in Industrie und Handel.

Kompassnadel der Moderne

Nicht mehr die persönliche und oft intuitive Einschätzung der jeweiligen Geschäftspartner dient als Entscheidungsgrundlage, sondern klar strukturierte und definierte Checklisten. Genau diese Art des Denkens und Entscheidens hat sich inzwischen auch auf andere Bereiche des privaten Lebens der Bundesbürger ausgeweitet. Statt sich z.B. bei Kaufentscheidungen auf das untrügliche Bauchgefühl zu verlassen, dienen nun Gütesiegel und Sternchenbewertungen aus dem Internet als Kompassnadel der Moderne.

Dabei wird allzu oft übersehen, dass solche Zertifizierungen de facto keine direkte Aussage über das tatsächliche Qualitätsniveau eines einzelnen Produktes oder z.B. einer beruflichen Ausbildung machen. Sie bescheinigen in der Regel nur die regelmäßige Überprüfung der Einhaltung bestimmter qualitätssichernder Prozesse. Nicht mehr und nicht weniger. Ob dies im Einzelfall auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Produkt- oder Dienstleistungsqualität führt, ist damit keinesfalls garantiert. Dies gilt natürlich erst recht für Bewertungen, die andere Menschen im Internet über Produkte und Dienstleistungen abgegeben haben. Auch diese sind von persönlichen Überlegungen und Vorlieben geprägt.

Unsicherheit lässt sich eben nicht „wegzertifizieren“. Und auch wenn ein gewisses Maß an Normierung und deren verbindliche Einhaltung sicherlich nichts Schlechtes ist, so stehen sich viele Branchen in Bezug auf Innovation und Wachstum zunehmend selbst im Weg. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Zum einen führen die hohen Kosten dieser Qualitätssysteme zu einem generellen Preisanstieg für die Endkunden, auch und gerade im Bildungssektor. Verbriefte „Sicherheit“ hat eben ihren Preis. Andererseits behindern solche starren Konventionen in vielen Branchen auch innovative Tendenzen und die Entwicklung neuer „Techniken“, da deren Erstzertifizierung in der Regel extrem kosten- und kapitalintensiv ist. Kleine innovative Branchen, wie z.B. naturgestütztes Coaching oder naturgestützte Therapie, haben es daher sehr schwer, wenn potentielle Kunden ausschließlich auf wissenschaftlich fundierten und zertifizierbaren Anwendungen bestehen.

Zunehmende Exklusion statt Inklusion

Eine strikte „Verwissenschaftlichung“ erweist sich eben nicht in allen Bereichen als grundsätzlich sinnvoll und beinhaltet quasi als Nebeneffekt oft genau das, was im Grunde niemand will: Exklusion statt Inklusion. Das jüngste Beispiel der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angestoßenen Grundsatzdebatte im Zusammenhang mit der Streichung der Homöopathie aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen belegt dies recht anschaulich. Statt einer Annäherung von konventionellem und alternativ- bzw. komplementärmedizinischem Bereich entsteht durch die dogmatische Ausgrenzung bisher auch auf Kassenebene akzeptierter Heilmethoden eine generelle Ablehnung möglicher Entlastungen des ohnehin personell und finanziell angeschlagenen Gesundheitssystems. 

Wie auch immer zukünftige Lösungen in diesem Bereich aussehen werden, es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine weitere Einschränkung oder gar Abschaffung des Heilpraktikerwesens nicht zu Einsparungen, sondern eher zu deutlichen Mehrausgaben führen würde. Immerhin suchen nach Erhebungen der Heilpraktikerverbände rund 10 Millionen Bundesbürger pro Jahr regelmäßig den Heilpraktiker ihres Vertrauens auf. Wenn diese mit ihren Anliegen zusätzlich bei ihren überlasteten Hausärzten auf der Matte stünden, wären diese sicher begeistert. 

Bleibt abschließend zu sagen, dass vielleicht auch in diesem Zusammenhang ein Blick in die Natur hilfreich sein könnte. Ein gesunder Mischwald zum Beispiel trotzt nicht nur dem Klimawandel besser, sondern widersteht in der Regel auch Plagen wie dem Borkenkäfer deutlich besser als jede Monokultur. Ein Ansatz, der sich gedanklich auch auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen ließe. Schließlich hat Mutter Natur selbst den ambitioniertesten Wissenschaftlern dieser Welt einige Millionen Jahre an praktischer Erfahrung voraus. Ein Grund, ihr zukünftig vielleicht etwas genauer auf die Finger zu schauen.


Dirk Stegner

Flåbygdvegen 764
N-3825 Lunde

Natur-Coaching

naturgestützte Hilfestellung bei Ängsten, Stress und Burnout (auch online möglich)

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